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Geschichte des Piercings
Zwar gab es mit The Gauntlet in San Francisco schon 1976 den ersten modernen Piercing-Shop, die Verbreitung dieser Mode beginnt aber erst in den 1980er Jahren in Kalifornien, als die Bewegung der Modern Primitives, der modernen Wilden, entstand. Man übernahm bewusst die bei "wilden" Völkern verbreiteten Bräuche, um den eigenen Körper zu "verschönern": Dazu gehörten vor allem die Tätowierung (Tattoos), das Piercing oder die Narbenbildung (Skarifizierung). Noch zu Beginn der 90er Jahre blieb das Piercing überwiegend auf die Punk- und Sadomaso-Szene beschränkt. Relativ schnell wurde es aber in der westlichen Kultur "gesellschaftsfähig". Für die jungen Leute spielt wohl auch das Zugehörigkeitsgefühl zur Piercingszene, die sich von der konservativen elterlichen Umgebung deutlich abhebt, eine nicht unwesentliche Rolle.
Das gezielte Durchstechen verschiedener Haut- und Körperstellen, wie Lippen oder Ohren als traditioneller Körperschmuck wird bereits seit Jahrtausenden von zahlreichen Kulturen und Ethnien praktiziert. Dabei handelt es sich neben der schmückenden Funktion meistens um die Abgrenzung zu anderen Volksstämmen, um spirituelle Rituale oder die symbolische Darstellung und Zelebrierung eines Veränderungsprozesses der Reife oder des gesellschaftlichen Status. Die meisten Oberflächenpiercings, wie das Korsett-Piercing oder das Madison-Piercing, stellen dagegen eine Neuerscheinung der späten 1990er Jahre dar.
Traditionelle Piercings
Inderin mit Nasen- und Ohrensteckern
Bei den Ureinwohnern Amerikas, Afrikas und Asiens sind Piercings in den Ohrläppchen, den Nasenflügeln und der Nasenscheidewand, den Lippen und den Genitalien überliefert. Der Schmuck dieser Kulturen wurde aus Holz, Quarz, Perlmutt, Ton, Horn und Knochen und einfachen Metallen gefertigt. Erste Ohrlöcher sind in Ägypten etwa 1.550 v. Chr. nachweisbar. Die Totenmaske des altägyptischen Pharao Tutanchamun zeigt diesen mit geweiteten Ohrlöchern. Auch bei Buddha-Statuen oder Relikten der Azteken werden vergrößerte Ohrlöcher dargestellt.
Mursi-Frau mit ausgezogenen Lippen- und Ohrläppchentellern
Bei den Mursi im Süden Äthiopiens gehören durchstochene oder eingeschnittene und besonders weit gedehnte Piercings in den Lippen und Ohrläppchen zum Schönheitsideal, man spricht hierbei von Tellerlippen. Je größer der Teller ist, desto mehr Ansehen gilt der Frau. Heute dient der ausgefallene Schmuck auch bewusst als Touristenattraktion [1]. In Indien tragen viele Frauen traditionell Stecker in den Ohrläppchen und dem Nasenflügel. Gemäß dem hinduistischen Glauben werden Kindern im Rahmen des Karnavedha-Rituals Ohrlöcher gestochen, um sie vor Krankheiten zu schützen.
Spirituelle Piercings
In der thailändischen Stadt Phuket findet seit 1825 jährlich das Vegetarian Festival statt. Während der ersten neun Tage des neunten Monats des chinesischen Kalenders versetzen sich die zahlreichen Teilnehmer im Rahmen einer Götterbeschwörung in Trancezustände und stechen sich während einer Prozession Schwerter, Äste, Eisenstangen oder Alltagsgegenstände mit teilweise erheblichem Durchmessern durch Wangen, Zunge oder andere Körperstellen. Dabei fungieren sie als Medium der neun Schutzgeister und werden während des Rituals als Besessene derer betrachtet.[2]
Durchstochene Wangen und Oberkörper auf dem Thaipusam-Fest
Eine ähnliche Tradition wird jährlich in Malaysia im Januar/Februar auf dem Thaipusam-Fest zelebriert.
Die Teilnehmer beginnen dabei bereits Monate im Voraus sich mit Hilfe eines Lehrers auf das Fest vorzubereiten bei dem sie sich in einen Trance-Zustand versetzen, Haken oder Spieße durch verschiedene Körperstellen stechen und anschließend bunt geschmückt und mit beigeführten Opfergaben eine Prozession zu einem Tempel des Gottes Subramaniam antreten um dabei ein Gelübde zu erfüllen, sich von Sünden reinzuwaschen oder um Gesundheit und Glück zu bitten. Blut tritt dabei verhältnismäßig selten aus den Wunden aus die teilweise mit Asche desinfiziert werden.
Beim Sonnentanz handelt es sich um eine Zeremonie verschiedener Indianerstämme der amerikanischen Prärie und Plains, bei dem sich die Tänzer die Haut an Brust oder Rücken durchstechen und mit Schnüren verbundene Holzpflöcke hindurchführen. Die Schnüre werden an einen Baum gebunden, um den die Indianer vier Tage lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ohne Schatten, Nahrung und Wasser tanzen. Diese Tradition ist von der Bewegung der Modern Primitives unter der Bezeichnung Body-Suspension aufgegriffen worden.
Piercings in der westlichen Kultur
Teilweise waren verschiedene Piercings wie zum Beispiel das Brustwarzenpiercing schon in früheren Jahrhunderten in Europa anzutreffen, sie blieben jedoch weitestgehend auf kleine, meist höfische Kreise beschränkte Moden, die später wieder in Vergessenheit gerieten. Lediglich das Durchstechen das Ohrläppchens fand eine weite Verbreitung. Ohrlöcher waren jedoch bis Anfang der 1970er Jahre im westlichen Kulturkreis nur bei Frauen akzeptiert und wurden meistens selber oder vom Juwelier gestochen. Eine Ausnahme hiervon bildete lediglich der Berufstand der Zimmerleute, welche sich im Rahmen der Walz traditionell ein Ohrloch mit einem Zimmermannsnagel stechen lassen.
Bereits in den 1950er und 1960er Jahren experimentierte Fakir Musafar als Pionier intensiv mit Körpermodifikationen älterer Kulturen, um dabei spirituelle Erfahrungen zu sammeln. Der mit ihm in Kontakt stehende Amerikaner Doug Malloy etablierte das Bodypiercing kurz darauf in einem kleineren Kreis der Homosexuellen- und Fetischszene.
Zwar gab es mit The Gauntlet [3] in Los Angeles schon 1975 den ersten Piercing-Shop, die Verbreitung dieser Mode begann in den 1980er Jahren in Kalifornien, als die Bewegung der Modern Primitives entstand. Dabei wurden bewusst die bei Naturvölkern verbreiteten Bräuche aufgenommen, um den eigenen Körper zu modifizieren. Dazu gehörten vor allem Tätowierungen, Piercings oder Narbenbildungen (Scarification), später auch das Branding. Im Jahr 1977 wurde das Magazin PFIQ gegründet und etablierte sich als Forum und Plattform der Szene.
Noch zu Beginn der 1990er Jahre blieb das Piercing überwiegend auf die Punk- und BDSM-Szene beschränkt und breitete sich von dort im Laufe weniger Jahre aus. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde Piercing zunehmend zu einem Phänomen der Jugendkultur, teilweise durch die Etablierung von Subkulturen wie der Punk- oder Technoszene, in denen Piercing schon länger verbreitet war, aber auch befördert durch zahlreiche Stars wie Lenny Kravitz, Tommy Lee oder dem NBA-Spieler Dennis Rodman, die ein breites Mainstreampublikum ansprachen.
Heutzutage hat sich das Piercing fest als modisch-kulturelles Phänomen in der modernen westliche Gesellschaft etabliert.
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